Uwe Conradt: Meinungsfreiheit im Fokus der offenen Gesellschaft

Uwe Conradt

19.06.2017, ein Beitrag von

Von Uwe Conradt, Direktor der Landesmedienanstalt Saarland zum Tag der Verfassung 2017

Heute ist der Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland. Heute vor achtundsechzig Jahren, am 23. Mai 1949, wurde durch den Präsidenten des Parlamentarischen Rats das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verkündet. Das Saarland kam am 1. Januar 1957, die Länder auf dem Gebiet der DDR am 3. Oktober 1990 hinzu. Alle gemeinsam bilden sie das vereinigte Deutschland. Seit achtundsechzig Jahren ist die Bundesrepublik eine lebendige, freiheitliche, rechtsstaatliche repräsentative Demokratie.

Dieser Tag ist nicht nur ein Tag der Freude und Dankbarkeit, er ist auch Anlass zu fragen, wie es um die im Grundgesetz normierte objektive Werteordnung steht. Er mahnt uns an den Auftrag, die Werte, die Freiheit, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen. Geschichte läuft nicht nach Gesetzmäßigkeiten ab, weshalb die Frage, ob wir auch in Zukunft den vorgesehenen Rahmen von Freiheit und Recht des Grundgesetzes ausleben können, davon abhängt, ob der Staat und auch die Gesellschaft bereit ist, sich für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzusetzen.

Der Einsatz erfordert die ständige geistige Auseinandersetzun

g, den Kampf der Meinungen – das Lebenselement der Demokratie.

Dies ist der Grund, weshalb das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung von zentraler Bedeutung oder, wie es Verfassungsrechtler sagen, schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist. Es ist einerseits Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat und zum anderen der unmittelbarste Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft und somit eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für den Philosophen Karl Popper hing der Wert eines Dialoges „vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab“. Toleranz sollte uns die andere Meinung als Angebot und Anregung wahrnehmen lassen. Dies ist die Grundlage der Werteordnung des Grundgesetzes, die Werteordnung einer offenen Gesellschaft; einer Gesellschaft, in der die Freiheit des Individuums geschützt ist und der Staat durch sie gebunden ist und er verpflichtet ist, sie zu schützen.

 

Wie steht es um die Freiheit der Meinung und die Freiheit der Medien in unserem Land?

Die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts sieht vor, dass Medien vor staatlicher Beherrschung und Einflussnahme geschützt werden.

Wie ist dies noch möglich in einer Zeit, in der die technische Entwicklung zu einer Verschmelzung von Individual- und Massenkommunikation führt? Wo verläuft die Grenze von zulässiger staatlicher Kommunikation und dem Eingriff in die Funktion der Medien im Zeitalter der direkten Kommunikation, der PR über soziale Medien und andere digitale Kanäle?

Wo endet der Auftrag des aus staatlichen Mitteln finanzierten Auslandsrundfunks Deutsche Welle, der seine Angebote zunehmend im Inland verbreitet? Wie sehr darf dieses bundeseigene Angebot finanziell und programmatisch gestärkt werden, ohne die engen Grenzen der Staatsferne des Rundfunks zu verletzen?

Angesichts des vorliegenden Entwurfs des Netzwerksdurchsetzungsgesetzes stellt sich die Frage, ob es nicht auch in unserer Grundordnung vorgesehen ist, die Verbreitung einer Meinung, die polemisch und überspitzt formuliert wurde, auf sozialen Netzwerken zu schützen, wenn es der Schutz der Meinung bedarf. Ist es vor diesem Hintergrund zulässig, dass auch bei gesellschaftlich relevanten Massenangeboten allein der Anbieter zum Richter über die Zulässigkeit von Meinungen erhoben wird?

Haben hohe Strafandrohungen gegenüber Anbietern von gesellschaftlich relevanten Plattformen Auswirkungen auf die positive Ordnung, welche sicherstellen soll, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen in bestmöglicher Breite und Vollständigkeit Ausdruck findet und auf diese Weise umfassende Information geboten wird?

Wie können wir einen sachlichen Dialog anmahnen oder auch mit Löschungen und Sperrungen gegen Hassrede (hate speech) vorgehen, ohne die enge Fassung von Schmähkritik, die das Bundesverfassungsgericht definiert, aufzuweiten, denn auch dies würde unsere Meinungsfreiheit letztlich beschränken?

Wie gehen wir mit den Anhängern totalitärer Strukturen, den Feinden der offenen Gesellschaft um? Dabei ist es zum Teil nicht einfach, diese zu erkennen, können doch auch moralisch motivierte und besonders wohlmeinende Menschen auf den falschen Weg geführt und verführt werden.

Kann ein Klima entstehen, in dem nur der Konsens und eine genormte Sprache akzeptiert werden und Andersdenkende aus dem demokratischen Diskurs ausgeschlossen werden? Dies wäre die Rückkehr in die selbstverschuldete Unmündigkeit – in eine voraufklärerische Gesellschaft. Eine Dominanz der intoleranten Eiferer, die die Welt nach ihrer Gedankenwelt umformen wollen, gilt es wirksam zu verhindern.

Deswegen müssen wir im Namen der Toleranz das Recht beanspruchen, Intoleranz entgegenzutreten. Toleranz findet ihre Grenzen im Schutz der Menschenwürde, im Verbot von Straftaten, insbesondere auch von Volksverhetzung oder, allgemein gesprochen, im Verbot der Verbreitung von jugendgefährdenden Medien.

Die Bekämpfung von Fake News, Hass und Hetze verlangt die Vereinheitlichung der Aufsicht über Telemedien und die Schaffung eines Auskunftsanspruchs gegenüber Plattformanbietern, aber die Gesellschaft wird auch Ordnungsmaßnahmen nur dann als probates Mittel akzeptieren, wenn das Zensurverbot geachtet bleibt. Löschungen und Sperrungen können Diskurskompetenz nicht ersetzen, Diskurskompetenz aber auch nicht notwendige Regulierungsmaßnahmen.

Wir brauchen mehr Medienkompetenz und auch neue Initiativen gegen Hass und Hetze. Diese sollten aber mehr verfassungsrechtliches Rüstzeug mitbringen als den Hashtag .

Höflichkeit und Respekt im Umgang miteinander sind unabdingbar für eine offene, liberale Gesellschaft. Die Chancen des Internets nutzen, bedeutet aber auch Gesprächspartnern freies Denken und Sprechen zu ermöglichen, auch wenn wir es manchmal als Zumutung ansehen.

Der Mut zur Gegenrede sollte getragen sein von Sachlichkeit und der Argumentation in der Sache und auch die Aufforderung Immanuel Kants beinhalten: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Insofern ist das Grundgesetz als Wächter von Meinungsvielfalt und Meinungsfreiheit eine Werteordnung, aber kein Tugendwächter; vielmehr ist es auch Wächter über die – meist selbsternannten – Tugendwächter.

 

In diesem Sinne:

Hoch lebe das Grundgesetz – herzlichen Glückwunsch Bundesrepublik Deutschland.