Silke Burmester (freie Journalistin): Von der Identität zur Krise – wie äußere Kritik nach innen wirkt

04.05.2018, ein Beitrag von

Sich am Tag der Pressefreiheit zu versammeln, ist zunächst einmal eine schöne Geste. Es ist, wie wenn jemand Geburtstag hat: Man reibt die Flecken vom Hemd, macht sich die Haare schön und dem Gratulanten seine Aufwartung. Es geht um Respekt und Freude – aber auch darum, ein Zeichen zu setzen. Weniger der Pressefreiheit gegenüber, die ein Ding ist und nichts empfindet, als darum, das Augenmerk auf diese zu lenken und zu vermitteln: Hier ist etwas, das wollen wir würdigen.

Vor allem aber wollen wir die Aufmerksamkeit darauf lenken, denn dieses Etwas ist bedroht. Es braucht unsere Aufmerksamkeit und unseren Einsatz, um weiter existieren zu können.

Die Pressefreiheit ist wie ein Tier oder vielleicht besser eine besondere, einzigartige Landschaft: Sie braucht Menschen, die sich für ihren Fortbestand einsetzen. Die sich an ihren Grenzen postieren und sie gegen Eindringlinge verteidigen. Die dafür sorgen, dass durch die Gesetzgebung ihre Verschmutzung verhindert wird. Diese Landschaft braucht Menschen, die ramponierte, verwüstete und dem Vandalismus anheimgefallene Flächen wieder begrünen, die die Landschaft renaturieren, wo die Erde misshandelt oder Gebäude gebaut wurden.

Es ist eine erschreckende Konsequenz des Erstarkens der Autokratie und der antidemokratischen Bewegungen weltweit, dass es um die Pressefreiheit gerade dort zusehends schlechter bestellt ist, wo wir sie für sicher hielten. Und es ist ein erschreckender und den so hoch zivilisierten Gesellschaften Europas entsetzlich unwürdiger Umstand, dass nirgendwo sonst die Pressefreiheit aktuell so abbaut, so beschädigt wird, wie bei uns in Europa. „Vier der fünf Länder, deren Platzierung sich in der neuen Rangliste der Pressefreiheit am stärksten verschlechtert hat“, so schreibt Reporter ohne Grenzen, „liegen in Europa: die EU-Mitglieder Malta, Tschechien, die Slowakei sowie Serbien.“

Das Verrückte: Wir reden über einen Kontinent, der sich gegenüber ruppigen Machtprotzen wie den USA ausmacht wie die Brutstätte der Kultur, des Denkens, der Moral. Ein Kontinent, in dem die Menschen – anders als unter einem wachsenden Teil der US-amerikanischen Bevölkerung – wissen, wie man Messer und Gabel verwendet – und hier, ausgerechnet hier, wird die Pressefreiheit zurückgedrängt? Verliert sie den Status der Unabdingbaren? Des nicht-Verhandelbaren? Der Ersten am Platz und der Letzen, die geht?!?

Wie geht das, warum ist das so, wie kann das sein?

Ich möchte für den Versuch der Beantwortung dieser Frage einen Moment der Entwicklung des Berufes des Journalisten beleuchten, der sicherlich nur ein Aspekt unter mehreren ist und der beileibe nicht für die gesamte Misere verantwortlich zu machen ist. Aber es ist eben auch einer, der meines Erachtens nach seine Wirkung tut. Ein Umstand, der wie eine unerkannte Entzündung an irgendeinem Zahn im Dunkel sein Gift austreibt. Recht unbemerkt und auch nicht gleich zu großem Schmerz führend, aber doch zu jenem Unwohlsein, zu jener Schlappheit, die uns wundern lässt, was mit uns los ist. Warum wir so müde und antriebslos sind.

Es begann mit dem Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo am 7. Januar 2015. Zwölf Kollegen von mir, zwölf journalistisch arbeitende Frauen und Männer sind in Paris ermordet worden. Wegen ihrer Tätigkeit. Nicht Bäcker waren erschossen worden, nicht Menschen, die irgendetwas tun, wie Autos zu reparieren oder Parfüm herstellen, waren tot, sondern Personen, die das Zeitgeschehen abbilden, analysieren und kommentieren. Die mit ihrer Arbeit für Meinungsfreiheit und die Grundwerte der Demokratie kämpften. Tag für Tag. Meine Fassungslosigkeit, meine Trauer, meine Wut, meine Hilflosigkeit – mein Bedürfnis, ein Zeichen zu setzen, trieben mich um 18 Uhr zu dem kurzfristig ausgerufenen Versammlungsort am Hamburger Rathaus.

Hamburg – das ist die große, die legendäre Medienstadt im Norden der Republik. Der Spiegel hat hier in einem spektakulären Prozess bereits Anfang der 1960er-Jahre die Pressefreiheit als Grundpfeiler der Demokratie verteidigt, der „Stern“ immer wieder die Republik erschütternde Skandale aufgedeckt, das Verlagshaus Gruner & Jahr seinen Ruf als bestes Zeitschriftenhaus Europas zementiert und dann sind in Hamburg nicht unbedeutende Verlage wie der Bauer-Verlag, der Jahreszeiten-Verlag und der Axel Springer-Verlag ansässig. Und ja, den NDR gibt es auch noch. Mit den für dieses Land so bedeutenden Redaktionen der Tagesschau und Tagesthemen.

Meine Freundin, eine Fotografin, und ich trafen am Rathaus zwei Kollegen. Eine Journalistin von Stern.de und einen Fotografen. Ich kenne wirklich viele Medienleute in Hamburg, aber ich traf nur sie. Und sie, sie trafen nur uns. Wir waren vier Journalisten.

Auch als zwei Jahre später mit den Angriffen auf die türkische Presse, der Inhaftierung unserer türkischen Kolleginnen und Kollegen, die Pressefreiheit und unser Berufsstand angegriffen wurde, wie wir es in West-Deutschland seit der Machtergreifung durch die Nazis nicht erlebt haben, blieb es in der Medienbranche erstaunlich ruhig. Und selbst, als wir in Hamburg begannen, für unseren deutschen in der Türkei inhaftierten Kollegen Deniz Yücel auf die Straße zu gehen, konnte man im Pulk der Demonstrierenden die Journalistinnen und Journalisten an zwei Händen abzählen.

Wie gesagt, die großen Verlage sind hier alle. Wir hätten locker 500 KollegInnen sein können.

Die Frage, die sich für mich stellt, ist die, warum so viele von uns meinen, das Geschehen hätte nichts mit ihnen, mit uns zu tun? Warum sie den Abbau der Pressefreiheit in unseren Nachbarländern Ungarn und Polen und eben auch die in dem uns so nahe stehenden Land Türkei nicht als Angriff auf sich als Journalisten verstehen, auf ihren Berufsstand? Aber auch als zeitlich vorgezogene Möglichkeit des Geschehens in unserem Land?

Ich glaube, die Antwort liegt in dem, was mit unserem Beruf passiert ist. In dem, was mit unserem Beruf gemacht wurde. Von den Verlagen. Den Sendeanstalten. Nicht von Hinz oder Kunz oder der Regierung oder irgendwelchen Trollen, sondern zu allererst mal von den Medienhäusern. Von denen, in deren schützender Obhut wir uns wähnen sollten, von denen wir annehmen sollten, sie wollten unser Bestes. Und das des Journalismus.

Ich will an dieser Stelle nicht ausführlich auf den Abbau und mitunter sogar auf die Zerstörung der Strukturen in Verlagen und Redaktionen eingehen, auf den Rückgang der Honorare für freie Journalisten und Fotografen und der Möglichkeit, mit dieser Art von Arbeit ausreichend Geld zum Leben zu verdienen. Auf die Zunahme der Aufgaben und der Abnahme der Qualität. Das ist ein anderes Thema und es ist vielerorts dargelegt worden.

Aber was geschehen ist, ist, dass durch den Umgang mit Journalisten, mit denen, denen als vierte Gewalt eine elementare, Demokratie erhaltende und stabilisierende Funktion zukommt, ein Verständnis für den Beruf zerstört wurde. Und auch für den Wert ihrer, unserer Arbeit.

Wir Journalisten sind keine Bäcker. Wir stellen kein Parfüm her und reparieren keine Autos. Wir zeichnen das Geschehen auf und haben das Tun der Mächtigen im Auge. Wir kontrollieren ihre Worte, ihr Handeln und schauen, ob mit unseren Steuerabgaben verantwortungsvoll umgegangen wird.

Mit dem Einbruch der Anzeigenerlöse vor gut zehn Jahren, die die Gewinne schmälerten, anders als suggeriert aber kaum einen Verlag in den Ruin trieben, wurden wir auf einmal zur Verschiebemasse. Unsere Arbeit wurde entwertet, abgewertet. Verträge werden vielerorts nur noch für ein Jahr abgeschlossen, statt Einzelbüros gibt es Großraumherbergen, in manchen Redaktionen wurde sogar der verbindliche Arbeitsplatz abgeschafft. Den Kollegen stehen für ihr Arbeitsmaterial Rollcontainer zur Verfügung. Jeden Morgen können sie sehen, wo noch ein Platz frei ist.

Der Journalist, die Journalistin ist nicht länger eine Person, deren besondere Tätigkeit bereits in ihrer Arbeitssituation ihr Abbild findet. Sie ist nicht länger jemand, deren gesellschaftlicher Funktion Rechnung getragen wird. Nein, sie ist seit geraumer Zeit eine Person, der ihr Arbeitgeber unablässig klar macht, dass man sie leider noch nicht adäquat einsparen konnte. Aber, die man bei Aufmucken natürlich leicht durch eine billigere, jüngere Kraft ersetzen wird. Die hat dann zwar wenig Ahnung und schon gar keine Erfahrung – aber egal, Qualität war gestern und der Anspruch an Journalismus ist eh vollkommen überschätzt.

Und, als wäre das nicht genug, kamen die Trolle. Und die besorgten Bürger. Wer zuerst? Egal. Die Mär von der Lückenpresse, der Lügenpresse und die Annahme, Politiker oder ihre Vertreter würden die Agenda vorgeben, verbreiten sich beide gleich gut. Wer eben noch Vertreter der vierten Macht war, ist nun der Arsch vom Dienst.

Handlanger. Lügner. Merkel-Hure.

Mittlerweile sind die Trolle im Netz so gut organisiert, dass sie mit relativ wenigen Personen wochenlang Themen hochhalten, Social-Media-Kanäle verstopfen, Journalistinnen und Journalisten beleidigen, diffamieren, um sie unglaubwürdig zu machen. Unbeliebt. Am Ende, um sie klein zu kriegen.

In dem beachtenswerten Radio-Feature von Tom Schimmeck über die Autoren der Neuen Rechten sagt der Publizist Akif Pirincci: „Also jetzt sag ich Ihnen mal ein Betriebsgeheimnis. Was wirklich knallt: Wenn man junge Journalistinnen fertigmacht.“ Generell gelten Frauen, vor allem die, die sich feministisch äußern, als besonders schmackhaftes Ziel – auch gilt keine Gruppe im Netz als so gut organisiert wie die Maskulisten.

Ich habe in den vergangenen Jahren in dem einen oder anderen größeren Shitstorm gestanden. Bei meinem ersten – ich hatte mich über die Ästhetik der Bayern lustig gemacht – waren Leute noch wirklich sauer. Empört. Auch verletzt. Heute kann ich mehr oder weniger machen, was ich will, es muss nur mit Männern, Frauen oder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu tun haben und mein Twitter-Account ist tagelang belagert mit allen möglichen Formen von Verdrehung meiner Aussage und daraus angeblich folgerichtigen Einordnungen meiner Person. Je nachdem, wie es gerade gebraucht wird, bin ich eine rote Zecke, eine Nazi-Schlampe, eine Antisemitin, ein Gutmensch, eine Hass-Predigerin, eine feministische Hasspredigerin, eine Merkel-Hure.

Das muss man abkönnen und ich weiß von einigen Kolleginnen und Kollegen, die können das nicht. Auch ich frage mich immer häufiger, ob es nicht besser wäre, die Klappe zu halten – und einfach zu vermeiden. Die Auseinandersetzung, den Ärger, die Beleidigungen. Den Energieverlust.

Es geht mir jetzt gar nicht darum, zu sagen, gäbe ich auf, hätten die Anderen gewonnen. Oder das ist man der Pressefreiheit schuldig, dass man den Kopf eben nicht einzieht. Das ist nicht mein Punkt. Mein Punkt ist vielmehr zu fragen, von wem wir eigentlich sehr berechtigt verlangen, dass er die Fahne der Pressefreiheit hochhält? Wen wir in diesem Kampf sehen?

Es sind Personen, an deren Würde und an deren Selbstachtung extrem gekratzt wurde. Ein Berufsstand, dem nicht länger mit Respekt, sondern mit Abneigung bis hin zu unverhohlener Abscheu begegnet wird. Und der mehr oder weniger ein leichtes Fressen für all jene wird, denen eine Einschränkung der Pressefreiheit mindestens gelegen kommt. So sie denn nicht Ziel und Absicht ist.

Woher soll denn der Widerstand gegen die Absicht der Autokraten, die Medien zu schwächen, kommen, wenn man sich selbst so klein und scheiße fühlt? Wenn im eigenen Laden Journalismus nur noch ein lästiges Übel neben den Zeitschriften für Wohnartikel ist?

Wie soll man sich denn den Bestrebungen, sich von nicht linientreuen Journalisten zu trennen, Paroli bieten, wenn man als Journalist nicht weiß, wie man von seinem Salär die Familie ernähren soll? Wie soll man auf die Idee kommen, sich für die Kollegen in der Türkei einzusetzen, wenn einem im eigenen Haus über Jahre der Mut ausgetrieben wurde, gegen die befristeten Verträge aufzustehen und dagegen, dass die Anzeigenabteilung die Themen samt zu befragender Experten liefert?

Wie soll man das, worum es im Journalismus geht, vertreten, wenn man selbst nicht mehr weiß, worum es geht?

Viele von uns Journalistinnen und Journalisten sind geschwächt. Durch die Verlage und Medienhäuser und auch durch diese eigenartige, sich auf einmal entladende Wut unserer Mitmenschen auf unseren Berufsstand.

Diese Schwächung kann nicht im Sinne der Pressefreiheit sein.

Die Freiheit, egal ob die der Presse oder welche auch immer, braucht immer starke Menschen, die sie erkämpfen, verteidigen und gegebenenfalls zurückerobern.

Wer die Pressefreiheit stärken will, muss die Journalistinnen und Journalisten stärken. Die Freiheit der Presse kann nur von denen verteidigt werden, die gut bei Kräften sind und das richtige Werkzeug haben.